Werkbegriff versus Gerüst / Formel / Versatzstück

...im Volkslied (Eva Maria Hois)

1819 wurden im Rahmen der „Sonnleithner-Sammlung“, der ersten halb amtlich durchgeführten Volksliedsammlung in Österreich, auch Melodien in Salzburg aufgezeichnet, darunter Volkstänze, „Schnöderhöpfln“, zeit- und gesellschaftskritische Gesänge, Unterhaltungs- und Begebenheitslieder sowie Lieder zur Weihnachtszeit. Einige davon erwiesen sich laut Walter Deutsch „durch spätere Editionen als Erstaufzeichnungen variantenreicher Liedtypen“. Sie bilden, gleich der von Maria Vinzenz Süß im Jahre 1865 veröffentlichten Lieder, den Ausgangspunkt einer Untersuchung, die aufzeigen möchte, welche melodischen wie auch textlichen Versatzstücke seit rund 200 Jahren immer noch im Gebrauch sind, welche sich im Lauf der Zeit verändert haben oder ganz verschwunden sind. So soll etwa der Behauptung vom „offenbar so beliebte[n] Mittel der Figurierung durch Zweitonmelismen“ (Wilhelm Keller) wie auch der charakteristischen Verwendung von Pendeltönen im Salzburger Weihnachtslied nachgegangen werden.
Diese die letzten beiden Jahrhunderte umfassende Untersuchung wird sich im Wesentlichen auf den musikalischen Duktus und somit auf gedrucktes Notenmaterial beziehen, weswegen die etwa von Helga Thiel festgestellten starken Veränderungen der musikalischen Interpretation im Lungau, besonders im vorigen Jahrhundert, aufgrund fehlender Tondokumente aus dem 19. Jahrhundert ausgeklammert werden müssen.


...und in der instrumentalen Volksmusik (Rudi Pietsch)

Eine Untersuchung der „alten Stilschicht“ des Ländlers in Salzburg, unternommen anhand der Sammlung „Abtenauer Tänze für ein Violin“ von Thomas Braun, Schuhmachermeister in Abtenau.

Die Einsendung der „24 Abtenauer Tänze für ein Violin“ im Rahmen der „Sonnleithner-Sammlung“ von 1819 stellt für die Betrachtung und Analyse ein besonderes Dokument der „frühen Spielpraxis“ der Ländlermusik in Salzburg dar. Dabei ergeben sich folgenden Fragestellungen und Überlegungen:
Ist die Einstimmigkeit „musikalisch vollständig“ oder fehlt − aus heutiger Sicht − möglicherweise die zweite/eine Stimme? Welche melodischen, harmonischen und formalen Strukturen lassen sich als Typus erkennen und inwieweit finden diese in heutigen (jüngeren) Ländlern eine Anwendung? Finden sich in den 24 Ländlern Formelhaftigkeiten bzw. Redundanzen? Kann man dabei von Versatzstücken sprechen und wenn ja, welchen Wert haben diese für die „Gattung Volksmusik“? Nicht zuletzt wird auch die Spieltechnik der Geigenmusik Gegenstand der vorliegenden Analyse sein.


Eva Maria Hois

(*1969) studierte Musikwissenschaft an der Karl Franzens Universität in Graz und dissertierte am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie in Wien. Sie ist seit vielen Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin im Steirischen bzw. Österreichischen VolksLiedWerk, betreute einige Jahrgänge des Jahrbuchs des Österreichischen VolksLiedWerkes und gab gemeinsam mit Walter Deutsch mehrere Bänder der Reihe Corpus Musicae Popularis Austriacae heraus. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Geschichte der Volksmusikforschung in Österreich, die Soldatenliedersammlung im Ersten Weltkrieg sowie der Zusammenhang zwischen Volks-und Kunstmusik. Hois ist als Sing- und Jodelreferentin auch in der Musikvermittlung tätig.


Rudolf Pietsch

Geboren 1951 in Wien; Studium an der Musikhochschule Wien (Musikerziehung & Instrumentalmusikerziehung), 1978 Lehrbefähigung (Violine, Blockflöte), Unterrichtstätigkeit an einem Gymnasium sowie in der Musikschule. Seit 1981 Univ.-Assistent am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 1991 Doktorat Musikwissenschaft (Dissertationsthema: Musikalische Volkskultur bei burgenländischen Auswanderern in Pennsylvania, USA, unter besonderer Berücksichtigung der Instrumentalmusik). Laufende Feldforschungsprojekte in Mitteleuropa, zahlr. Vorträge zur instrumentalen Volksmusik und Volksmusikvermittlung.
Leitung der Geigenmusiken Die Tanzgeiger und Heanzenquartett. Zahlreiche Auftritte im In- und Ausland, sowie Platten-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen. Seit über 40 Jahren Leiter und Referent von Kursen für Volksmusik (u. a. bei glatt&verkehrt in Krems, XONG in Mals/Südtirol), sowie Lehrbeauftragter an zahlreichen europäischen Hochschulen und Universitäten (u.a. Universität Mozarteum Salzburg); künstlerische Zusammenarbeit mit zahlreichen Musikern aus ganz Europa. 2010 Forschungssemester als Fulbright Scholar am Department of Music der University of Chicago (The Use of Music in Central Europe and the American Midwest: Comparative Studies).